Übersetzungen - Vergil
Vergil - Ecloge VI - Varus (Silenus)
13.02.2012 - 11:38

Ecloge VI



Varus



Die sechste Ecloge ist dem Publius Alfenus Varus, der den Asinius Pollio abgelöst hat und für die Landverteilung in Mantua zuständig war. Varus sorgte dafür, dass Vergil sein Landgut behalten konnte. Das Gedicht behandelt unter das Welterklärungsmodell (Kosmogenie) der epikureischen Lehre, belobigt den Elegiker Gallus und handelt diverse Sagen ab. Dass das Gedicht sich Varus und nicht Silenus nennt erklärt sich durch Vers 10-11: nec Phoebo gratior ulla est quam sibi quae Vari praescripsit pagina nomen.








5




10




15




20




25




30





35




40





45




50




55




60







65




70





75




80




85

Prima Syracosio dignata est ludere versu
nostra, neque erubuit silvas habitare, Thalia.
Cum canerem reges et proelia, Cynthius aurem
vellit et admonuit: "Pastorem, Tityre, pinguis
pascere oportet ovis, deductum dicere carmen."
Nunc ego - namque super tibi erunt, qui dicere laudes,
Vare, tuas cupiant, et tristia condere bella -
agrestem tenui meditabor harundine musam.
Non iniussa cano. Si quis tamen haec quoque, si quis
captus amore leget, te nostrae, Vare, myricae,
te nemus omne canet; nec Phoebo gratior ulla est
quam sibi quae Vari praescripsit pagina nomen.
Pergite, Pierides. Chromis et Mnasylus in antro
Silenum pueri somno videre iacentem,
inflatum hesterno venas, ut semper, Iaccho;
serta procul tantum capiti delapsa iacebant,
et gravis attrita pendebat cantharus ansa.
Adgressi (nam saepe senex spe carminis ambo
luserat) iniciunt ipsis ex vincula sertis.
Addit se sociam timidisque supervenit Aegle.
Aegle, Naiadum pulcherrima, iamque videnti
sanguineis frontem moris et tempora pingit.
Ille dolum ridens: "Quo vincula nectitis?" inquit.
"Solvite me, pueri; satis est potuisse videri.
Carmina quae voltis cognoscite; carmina vobis,
huic aliud mercedis erit." Simul incipit ipse.
Tum vero in numerum Faunosque ferasque videres
ludere, tum rigidas motare cacumina quercus.
Nec tantum Phoebo gaudet Parnasia rupes,
nec tantum Rhodope miratur et Ismarus Orphea.

Namque canebat, uti magnum per inane coacta
semina terrarumque animaeque marisque fuissent
et liquidi simul ignis; ut his exordia primis
omnia, et ipse tener mundi concreverit orbis;
tum durare solum et discludere Nerea ponto
coeperit, et rerum paulatim sumere formas;
iamque novum terrae stupeant lucescere solem,
altius atque cadant submotis nubibus imbres,
incipiant silvae cum primum surgere, cumque
rara per ignaros errent animalia montis.

Hinc lapides Pyrrhae iactos, Saturnia regna,
Caucasiasque refert volucris, furtumque Promethei.
His adiungit, Hylan nautae quo fonte relictum
clamassent, ut litus Hyla, Hyla, omne sonaret;
et fortunatam, si numquam armenta fuissent,
Pasiphaen nivei solatur amore iuvenci.
A! virgo infelix, quae te dementia cepit!
Proetides implerunt falsis mugitibus agros;
at non tam turpis pecudum tamen ulla secuta
concubitus, quamvis collo timuisset aratrum,
et saepe in levi quaesisset cornua fronte.
A! virgo infelix, tu nunc in montibus erras:
ille latus niveum molli fultus hyacintho
ilice sub nigra pallentis ruminat herbas,
aut aliquam in magno sequitur grege. "Claudite Nymphae,
Dictaeae Nymphae, nemorum iam claudite saltus,
si qua forte ferant oculis sese obvia nostris
errabunda bovis vestigia: forsitan illum
aut herba captum viridi aut armenta secutum
perducant aliquae stabula ad Cortynia vaccae."



Tum canit Hesperidum miratam mala puellam;
tum Phaethontiadas musco circundat amarae
corticis, atque solo proceras erigit alnos.
Tum canit, errantem Permessi ad flumina Gallum
Aonas in montis ut duxerit una sororum,
utque viro Phoebi chorus adsurrexerit omnis;
ut Linus haec illi divino carmine pastor
floribus atque apio crinis ornatus amaro
dixerit: "Hos tibi dant calamos, en accipe, Musae,
Ascraeo quos ante seni; quibus ille solebat
cantando rigidas deducere montibus ornos.
His tibi Grynei nemoris dicatur origo,
ne quis sit lucus, quo se plus iactet Apollo."

Quid loquar, aut Scyllam Nisi, quam fama secuta est
candida succinctam latrantibus inguina monstris
Dulichias vexasse rates, et gurgite in alto,
a, timidos nautas canibus lacerasse marinis,
aut ut mutatos Terei narraverit artus,
quas illi Philomela dapes, quae dona pararit,
quo cursu deserta petiverit, et quibus ante
infelix sua tecta super volitaverit alis?
Omnia, quae Phoebo quondam meditante beatus
audiit Eurotas iussitque ediscere laurus,
ille canit - pulsae referunt ad sidera valles -,
cogere donec ovis stabulis numerumque referre
iussit et invito processit Vesper Olympo.


Unsere Thalia hat man als erste für würdig gehalten mit syrakusischem Verse zu tändeln, und sie schämte sich nicht die Wälder zu bewohnen.
Als ich von Königen und Schlachten sang, zupfte der Cynthische mein Ohr und mahnte: „Hirten müssen, Tityrus, fette Schafe weiden und ein leises Lied singen.“
Ich werd‘ mich nun – dir werden nämlich noch genug Leute übrig sein, die wünschen, deine Verdienste zu nennen, Varus, und finstere Kriege zu schildern – an ein ländliches Lied mit meiner zarten Hirtenflöte machen.
Ungeheißenes sing‘ ich nicht. Wenn dennoch jemand auch dies von Liebe ergriffen lesen wird, so werden unsere Tamariske dich, Varus, wird der ganze Wald dich besingen; und dem Phoebus ist kein Blatt werter als das, das sich den Namen „Varus“ vorangeschrieben hat.
Macht weiter, Pieriden! Chromis und Mnasylus, die Knaben, sahen, wie Silenus im Schlafe in der Grotte lag, mit vom gestrigen Weine, wie immer, aufgeschwollenen Adern;
In einiger Entfernung lagen Kränze, gerade eben seinem Haupte entglitten, und ein schwerer Krug hing am abgenutzten Griffe.
Sie nun schreiten an ihn heran (denn oft hatte beide in der Hoffnung auf ein Lied getäuscht) und legten ihm aus den Kränzen selbst Fessel an.
Aegle kam und gesellte sich zu den Furchtsamen.
Aegle, die schönste der Najaden, bemalte ihm, als er seine Augen schon öffnete, Stirn und Schläfen mit blutroten Maulbeeren.
Jener lachte über die List und sagte: „Warum knüpft ihr Fesseln? Macht mich los, ihr Knaben; der Schein des Könnens genügt. Lieder, die ihr hören wollt; euch wird Gesang zu Lohn sein; dieser ein anderer Lohn. Zugleich begann er.
Da sah man, die Faunen und wilden Tiere nach dem Takte spielen, dann die starren Eichen ihre Gipfel bewegen.
Weder freut sich die parnasische Felsenkluft so sehr über Phoebus, noch wundert sich Ismarus so sehr über die orpheische Rhodope.

Denn er sang, wie sich in der großen Leere die Urstoffe der Erde, der Luft, des Meeres und des reinen Feuers zugleich vereinigt hätten; wie durch diese Elemente aller Anfang, und das zarte Weltall entstanden sei;
Wie dann der Erdboden begonnen habe, sich zu verhärten und den Nereus im Meer auszuschließen, und allmählich die Gestalten der Dinge anzunehmen;
und wie die Erde nun staune, dass eine neue Sonne zu leuchten beginne, und Regen falle, nachdem der Dunst höher gestiegen sei, als erstmals Wälder sich aufzurichten begännen und selten Tiere durch unbekannte Berge streifen würden.

Hierauf erzählte er, Pyrrha habe Steine geworfen, erzählte vom saturnischen Königreich, von Kaukasischen Vögeln und vom Diebstahl des Prometheus.
Dem fügte er hinzu, an welcher Quelle die Seemänner den zurückgelassenen Hylas gerufen hätten, sodass das ganze Gestade „Hylas, Hylas“ habe widerschallen lassen;
Auch tröstete er Pasiphae wegen der Liebe zum weißen Stiere:
Glückliche, wenn niemals Herden gewesen wären.
Ahh! Unseliges Mädchen, welch Wahnsinn dich ergriffen hat!
Die Proetiden erfüllten mit falschem Gebrüll die Felder;
aber dennoch verfolgte keine von ihnen eine so schändliche Begattung von einem Vieh, obgleich sie für ihren Hals den Pflug gefürchtet und oft an ihrer unbehaarten Stirn Hörner gesucht hatten.
Ahh! Unseliges Mädchen, du irrst jetzt in den Bergen herum:
Jener genießt, während er seine schneeweiße Seite auf weicher Hyazinthe stützt, unter einer schwärzlichen Steineiche gelbgrüne Gräser, oder irgendeiner in der großen Herde. „Schließt ihr Nymphen, ihr diktäischen Nymphen, nun schließt die Lichtungen der Wälder, wenn durch irgendeinen Zufall umherirrende Spuren des Stieres meinen Augen entgegenfallen sollten: Vielleicht verführen jenen wohl, entweder von grünem Grase eingenommen oder der Herde folgend, irgendwelche Kühe zu den cortynischen Ställen.“

Dann sang er vom Mädchen, das die Äpfel der Hesperiden bewunderte; darauf umgab er Phaetons Schwestern mit Moos bitterer Rinde, und ließ sie als erhabene Erlen vom Boden emporsprießen.
Außerdem sang er, wie eine der Schwestern den Gallus, als er am Flusse Permessus umherirrte, in die aonischen Berge geführt und wie sich für den Manne der ganze Chor des Phobus erhoben habe;
wie der Hirte Linus, das Haar mit Blumen und bitterem Eppich geschmückt, mit einem göttlichen Gedichte jenem dies gesagt habe: „Die Musen geben dir diese Pfeifen, die sie früher dem askräischen Alten gaben, da hast‘ sie: nimm sie! Gewöhnlich entlockte jener durch diese, indem er sie spielte, den Bergen starre Mannaeschen.
Du sollst mit diesen den Ursprung des gryneischen Hains künden, damit es keinen Hein gibt, dessen sich Apollo sich brüstet.“

Was soll ich noch nennen? Etwa, wie er von der Scylla des Nisus, die das Gerücht verfolgt, sie habe, von bellenden Monstern an ihrer schneeweißen Hüfte umgürtet, die dulichischen Schiffe gemartert, und in tiefem Abgrunde, ach, die furchtsamen Seemänner mit ihren Meereshunden zerfleischt,
oder wie er von den verwandelten Gliedmaßen des Tereus erzählt hat, welchen Schmaus, welche Geschenke jenem Philomela bereitet, mit welcher Eile sie die Wüste aufgesucht habe, und mit welchen Flügeln sie vorher noch unglücklich über ihr Haus geflogen sei?
Alles, was der glückliche Eurotas einst, da Phoebus sich übte, hörte und den Lorbeeren zu lernen befahl, sang jener – die getroffenen Wälder schallten es zu den Sternen zurück –, bis der Abendstern befahl, die Schafe in die Ställe zu treiben und sie zu zählen und wider des Himmels Willen vortrat.



Hilfen zur Übersetzung

(12) pagina : das Bezugswort des Relativpronomens ist mit in den Relativsatz hineingerutscht.
(15) (Silenum) inflatum venas : venas ist ein sog. Accusativus Graecus (Accusativus limitationis) zu inflatum und grenzt den Bereich ein, in dem Silenus „aufgeschwollen“ ist. Also eigentlich: …sahen den Silenus als einen hinsichtlich seiner Adern aufgeschwollenen
(20) addit se sociam : eig. sie fügt sich als Teilnehmerin hinzu
(21) videnti : videre hier in der Bedeutung „die Augen öffnen“
(24) satis est potuisse videri : muss wohl soviel heißen, wie unser „Es reicht, bewiesen zu haben, dass man zu etwas in der Lage ist.“
(30) Rhodope und Ismarus, Gebirgsteile des thrazischen Hämus, wo Orpheus
seine Gattin in Liedern beweinte.
(31-32) coacta fuissent : mediopassivisch
(33) primis : prima, die erste Dinge: die Elemente, die Urstoffe
(35) ponto : obgleich präpositionslos, dennoch ein Ablativus loci; zwar legt ein Verb wie discludere einen Ablativus seperationis nahe, doch würde dies inhaltlich keinen Sinn ergeben. Was sollte eine Meeresgott außerhalb des Meeres zu tun haben? Die Weltentstehungstheorie besagt, die Erde habe das Wasser verdrängt und diesem einen eigenen Raum zugewiesen.
(38) altius atque cadant submotis nubibus imbres : altius bezieht sich auf submotis. Die Konstruktion submotis nubibus wird hier absolut betrachtet, kann aber auch seperativ zu cadere gemeint sein. In diesem Falle wäre nubes in der Bedeutung Wolke sinnvoller: und Regen ergoss sich aus den Wolken, nachdem sie höher gestiegen waren. Die aktivische Übersetzung von submotis lässt sich folgendermaßen legitimieren: submovere heißt eig. „von unten (hoch) bewegen“, sobmovi daher mediopassivisch „sich von unten hoch bewegen“ = (auf-)steigen
(53) fultus latus : Accusativus Graecus, siehe (15); „gestützt hinsichtlich seiner Seite“
(64) flumina Permessi : Genitivus explicativus
(68) crinīs : Akk. Pl. von crinis; Accusativus Graecus (Vgl. 15 & 53)
(75) succinctam candida inguina : siehe (68)



Imperator


gedruckt am 28.03.2024 - 10:51
http://www.latein-imperium.de/include.php?path=content&contentid=96