Sallust - De coniuratione Catilinae - Prooemium


Prooemium 1-4



[1] Körper und Geist
[2] Ohne Leistung, kein Leben
[3] Schwierigkeiten als Geschichtsschreiber - Selbstbekenntnisse
[4] Entscheidung für die Geschichtsschreibung



1. Körper und Geist


(1) Omnis homines, qui sese student praestare ceteris animalibus, summa ope niti decet, ne vitam silentio transeant veluti pecora, quae natura prona atque ventri oboedientia finxit. (2) Sed nostra omnis vis in animo et corpore sita est: animi imperio, corporis servitio magis utimur; alterum nobis cum dis, alterum cum beluis commune est. (3) Quo mihi rectius videtur ingeni quam virium opibus gloriam quaerere et, quoniam vita ipsa, qua fruimur, brevis est, memoriam nostri quam maxume longam efficere. (4) Nam divitiarum et formae gloria fluxa atque fragilis est, virtus clara aeternaque habetur.

(5) Sed diu magnum inter mortalis certamen fuit, vine corporis an virtute animi res militaris magis procederet. (6) Nam et, prius quam incipias, consulto, et, ubi consulueris, mature facto opus est. (7) Ita utrumque per se indigens alterum alterius auxilio eget.



(1) Es schickt sich für alle Menschen, die sich bemühen die übrigen Lebewesen zu übertreffen, mit äußerster Kraft darauf hinzuarbeiten, ihr Leben nicht in Stillschweigen zu verleben wie das Vieh, das die Natur nach vorn geneigt und dem Bauch gehorchend geschaffen hat. (2) All unsere Kraft aber liegt im Geist und im Körper: Wir nutzen die Herrschaft des Geistes, die Knechtschaft des Körpers; das eine ist uns mit den Göttern, das andere mit den Tieren gemeinsam. (3) Umso richtiger erscheint es mir, Ruhm mithilfe des Geistes als mithilfe des Körpers zu erwerben und, weil ja das Leben selbst, was wir genießen, kurz ist, eine möglichst sehr lange Erinnerung an uns zu bewirken. (4) Denn Ruhm von Reichtum und Schönheit ist flüchtig und vergänglich, tugendhafte Leistungen gelten als angesehen und ewig.


(5) Lange Zeit aber bestand ein großer Streit zwischen den Sterblichen, ob durch die Kraft des Körpers oder die Tugendhaftigkeit des Geistes militärische Angelegenheiten erfolgreicher verlaufen. (6) Denn einerseits ist ein Plan nötig, bevor man anfängt, andererseits ist, sobald man beratschlagt hat, ein schnelles Handeln notwendig. (7) So ist Beides ohne Mitwirken des anderen mangelhaft und das eine ist auf des anderen Hilfe angewiesen.


2. Ohne Leistung, kein Leben


(1) Igitur initio reges nam in terris nomen imperi id primum fuit divorsi pars ingenium, alii corpus exercebant: etiam tum vita hominum sine cupiditate agitabatur; sua quoique satis placebant. (2) Postea vero quam in Asia Cyrus, in Graecia Lacedaemonii et Athenienses coepere urbis atque nationes subigere, lubidinem dominandi causam belli habere, maxumam gloriam in maxumo imperio putare, tum demum periculo atque negotiis conpertum est in bello plurumum ingenium posse. (3) Quod si regum atque imperatorum animi virtus in pace ita, ut in bello, valeret, aequabilius atque constantius sese res humanae haberent, neque aliud alio ferri neque mutari ac misceri omnia cerneres. (4) Nam imperium facile iis artibus retinetur, quibus initio partum est. (5) Verum ubi pro labore desidia, pro continentia et aequitate lubido atque super bia invasere, fortuna simul cum moribus inmutatur. (6) Ita imperium semper ad optumum quemque a minus bono transfertur. (7) Quae homines arant, navigant, aedificant, virtuti omnia parent. (8) Sed multi mortales, dediti ventri atque somno, indocti incultique vitam sicuti peregrinantes transigere; quibus profecto contra naturam corpus voluptati, anima oneri fuit. eorum ego vitam mortemque iuxta aestumo, quoniam de utraque siletur. (9) Verum enim vero is demum mihi vivere atque frui anima videtur, qui aliquo negotio intentus praeclari facinoris aut artis bonae famam quaerit.



(1) Sonach haben anfangs die Könige – denn dies war auf Erden der erste Herrschertitel – voneinander abweichend, die einen den Geist, die anderen den Körper trainiert: Damals wurde das Leben der Menschen ohne Gier verbracht; Jedem war das Seine genug. (2) Nachdem aber Cyrus in Asien, die Spartiaten und Athener in Griechenland anfingen Städte und Völker zu unterwerfen, die Gier nach Herrschaft für einen Kriegsgrund zu halten und den größten Ruhm im größten Reiche zu vermuten, da erst erkannte man durch Gefahr und Aufgaben, dass der Geist im Krieg das meiste ausrichtet. (3) Wenn nun die Tatkraft des Geistes der Könige und Feldherren im Frieden genauso stark sein würde wie im Kriege, würden sich die menschlichen Angelegenheiten gleichbleibender und beständiger verhalten, und man würde sich weder ansehen müssen, wie das eine anderswohin gebracht wird noch wie alles verändert wird und über den Haufen geworfen wird. (4) Die Herrschaft wird nämlich durch diejenigen Tugenden behauptet, durch welche sie anfangs erworben wurde. (5) Sobald aber an die Stelle von Arbeitsamkeit Untätigkeit, anstelle von Maßhalten und Gerechtigkeit Gier und Hochmut getreten sind, wandelt sich das Schicksal zugleich mit den Charaktereigenschaften. (6) So wird die Herrschaft immer von weniger Tüchtigen zum Besten übertragen. (7) Alles, was die Menschen beackern, besegeln und bauen, richtet sich nach der Tugenhaftigkeit. (8) Aber viele Sterbliche, die sich der Gefräßigkeit und dem Schlaf hingegeben haben, durchwandern ihr Leben ungelehrt und ungebildet, als wanderten sie im Ausland; völlig wiedernatürlich war ihnen der Körper zum Vergnügen, der Geist zur Last. Deren Leben und Tod würdige ich gleichermaßen, weil über beides geschwiegen wird. (9) Doch in Wahrheit lebt und erfreut sich des Geistes nur derjenige, der sich eifrig um irgendeine Aufgabe bemüht und den Ruhm einer edlen Tat oder edlen Handlungsweise zu erwerben sucht.

3. Schwierigkeiten als Geschichtsschreiber - Selbstbekenntnisse


(1) Sed in magna copia rerum aliud alii natura iter ostendit. Pulchrum est bene facere rei publicae, etiam bene dicere haud absurdum est; vel pace vel bello clarum fieri licet; et qui fecere et qui facta aliorum scripsere, multi laudantur. (2) Ac mihi quidem, tametsi haudquaquam par gloria sequitur scriptorem et auctorem rerum, tamen in primis arduum videtur res gestas scribere: primum, quod facta dictis exequenda sunt; dein, quia plerique, quae delicta reprehenderis, malevolentia et invidia dicta putant, ubi de magna virtute atque gloria bonorum memores, quae sibi quisque facilia factu putat, aequo animo accipit, supra ea veluti ficta pro falsis ducit.

(3) Sed ego adulescentulus initio, sicuti plerique, studio ad rem publicam latus sum, ibique mihi multa advorsa fuere. Nam pro pudore, pro abstinentia, pro virtute audacia, largitio, avaritia vigebant. (4) Quae tametsi animus aspernabatur insolens malarum artium, tamen inter tanta vitia inbecilla aetas ambitione conrupta tenebatur; (5) Ac me, quom ab reliquorum malis moribus dissentirem, nihilo minus honoris cupido eadem, quae ceteros, fama atque invidia vexabat.



(1) Aber bei einer so großen Fülle an Dingen zeigt die Natur jedem einen anderen Weg. Es ist eine schöne Sache, edel für den Staat zu handeln, auch ist es nicht unvernünftig, gut reden zu können; man kann entweder im Frieden oder im Krieg berühmt werden; viele, die Taten vollbracht haben, und viele, die von den Taten anderer schreiben, werden gepriesen. (2) Und mir freilich scheint es, wenn auch dem Schreiber keineswegs der gleiche Ruhm folgt wie dem Vollbringer der Taten, doch zumindest besonders schwierig, Taten aufzuschreiben: erstens, weil von den Taten mit Worten genau zu berichten ist; zweitens, weil die meisten glauben, dass das, was man als Vergehen tadelt, aus Böswilligkeit und Missgunst gesagt worden sei, wenn man aber die große Tatkraft und den Ruhm tüchtiger Männer erwähnt, jeder nur das gelassen hinnimmt, was er für sich selbst für leicht zu vollbringen hält, was über dieses hinausgeht, wie Erdichtetes für unwahr erachtet.

(3) Ich aber wurde als sehr junger Mann, wie die meisten, anfangs aus Interesse zum Staatsdienst bewogen, und dort war mir vieles zuwider. Denn anstelle von Ehrenhaftigkeit, Enthaltsamkeit und Tugendhaftigkeit, blühten Frechheit, Bestechung und Habsucht. (4) Wenn auch mein Herz, das üble Gewohnheiten nicht gewöhnt war, dies verschmähte, wurde meine Jugend ohnmächtig von verdorbenem Ehrgeiz zwischen den Lastern gehalten; (5) Und so plagte mich, obgleich ich im Widerspruch mit den üblen Gepflogenheiten der Übrigen stand, um nichts weniger dieselbe Gier nach Ruhm, derselbe üble Ruf und dieselbe Missgunst wie die anderen.

4. Entscheidung für die Geschichtsschreibung


(1) Igitur ubi animus ex multis miseriis atque periculis requievit et mihi reliquam aetatem a re publica procul habendam decrevi, non fuit consilium socordia atque desidia bonum otium conterere, neque vero agrum colundo aut venando, servilibus officiis, intentum aetatem agere; (2) Sed a quo incepto studioque me ambitio mala detinuerat, eodem regressus statui res gestas populi Romani carptim, ut quaeque memoria digna videbantur, perscribere, eo magis, quod mihi a spe, metu, partibus rei publicae animus liber erat. (3) Igitur de Catilinae coniuratione, quam verissume potero, paucis absolvam; (4) Nam id facinus in primis ego memorabile existumo sceleris atque periculi novitate. (5) De quoius hominis moribus pauca prius explananda sunt, quam initium narrandi faciam.


(1) Sobald mein Herz nach viel Elend und vielen Gefahren zur Ruhe gekommen war und beschlossen hatte, ich müsse meine übrige Lebenszeit fern vom Staatsdienst zubringen, war es nicht mein Plan, mit Gedankenlosigkeit und Herumlungern meine schöne Muße zu vergeuden, aber auch nicht beschäftigt mit Ackerbau oder Jagen – Sklavenaufgaben – mein Leben zu verbringen; (2) sondern ich beschloss, nachdem ich zu meinem eifrigen Vorhaben, von dem mich übler Ehrgeiz abgehalten hatte, zurückgekehrt war, die Taten des römisches Volkes in Auswahl niederzuschreiben, wie und was der Erinnerung wert schien, umso mehr, weil mir mein Geist frei von Hoffnung, Furcht und Parteien des Staates war. (3) Daher will ich so wahrheitsgetrau wie möglich einiges weniges über die Verschwörung Catilinas schreiben; (4) Diese Untat halte ich nämlich aufgrund der Neuartigkeit des Verbrechens und der Gefahr für besonders denkwürdig. (5) Über die Charaktereigenschaften dieses Menschen muss ich weniges darlegen, bevor ich mit der Erzählung beginnen kann.



Anmerkungen und Hilfen

[1]

(6)

mature facto : das Adverb steht hier aufgrund des partizipialen Ursprungs von factum.




[2]

(1)

divorsi : (= diversi) prädikativ zu reges „die König als in unterschiedliche Richtungen gerichtete“




[3]

(2)
quae sibi quisque facilia factu putat, aequo animo accipit, supra ea veluti ficta pro falsis ducit. : Dieser Teil des Gesamtsatzes ist dem ersten Teil gewissermaßen antithetisch gegenübergestellt. Während im ersten Teil die Problematik bei der Erwähnung negativer Taten aufgezeigt, folgt nun die Problematik bei der Erwähnung positiver Taten. Der Sinn ist: (quia) quisque aequo animo accipit ea, quae sibi facilia factu putat, sed ea, quae supra sunt, veluti ficta pro falsis ducit. Sallust will also klarmachen, dass es der Geschichtsschreiber weder beim Lob noch beim Tadel leicht hat und er seine Worte genauestens wählen muss.

(5)

quom : (= cum) konzessiv

quae ceteros : eig. „die die anderen plagte“; grammatikalisch wohl nur auf cupido bezogen, inhaltlich aber auf alle drei Begriffe.




[4]

(1)

colundo aut venando […] intentum aetatem agrere : intentum ist prädikativ und auf das vorschwebende Subjekt (Sallust) bezogen; bei Subjektsinfinitiven stehen Prädikatsnomina und Prädikativa im Akkusativ; intentus in der Bedeutung „(eifrig) beschäftigt mit“ steht u. A. mit dem Dativ und könnte somit colundo und venando als Objekte bei sich haben. Davon wird auch in der Übersetzung ausgegangen. Es wäre auch möglich letztere als instrumentale bzw. modale Ablative aufzufassen (indem ich beackere und jage) zu bestimmen und intentum dann absolut in der (eher selteneren) Bedeutung „rastlos, ohne Ruhe“ zu gebrauchen. Für diese Übersetzungsvariante würde allerdings sprechen, dass Parallelität mit der vorigen Aussage (socordia, desidia – Ablative) gewahrt würde.

(2)

Sed a quo incepto studioque me ambitio mala detinuerat, eodem regressus : incepto studioque sind zweifelsfrei die logischen Bezugsworte des Relativsatzes, die allerdings hier mit in diesen hineingerutscht sind, um sie voranzustellen und zu betonen. So bleibt eodem (Adverb: ebendorthin) als das grammatische Bezugswort des Relativsatzes übrig. Man kann den Satz jedoch nicht einfach umkonstruieren, indem man incepto studioque zu eodem zieht – das würde einen Kasusfehler implizieren (die Richtungsangabe zu regredi muss – wenn nicht in Form eines Adverbs - im Akkusativ erfolgen). Der Sinn ist: ad idem inceptum studiumque regressus, quo me ambitio mala detinuerat.

ut quaeque : ut et quae (= quaecumque)

(5)

quoius : (= cuius) relativischer Satzanschluss.

prius […] quam initium narrandi faciam : Der Konjunktiv hebt hervor, dass die Nebensatzhandlung unmöglich eintreten kann, bevor die Hauptsatzhandlung abgeschlossen ist. Gewissermaßen lässt sich auch eine finale Färbung des Temporalsatzes feststellen (…um anzufangen). Dazu die konjunktivischen antequam/priusquam Temporalsätze – Kapitel 3. β.




Druckbare Version
Seitenanfang nach oben